Vortrag Gertraud Cerha und Podiumsdiskussion “die reihe” im Rahmen der Wiener Vorlesungen – Eine Nachlese

Der gestrige Abend im Festsaal des Rathauses war sehr gut besucht und tatsächlich im ersten Teil eine “Wiener Vorlesung”: Gertraud Cerha, die den künstlerischen Weg Friedrich Cerhas und der “reihe” von Anfang an begleitete, analysierte die entstehungs- und rezeptionsgeschichtlichen Hintergründe des Ensembles im Nachkriegs-Wien und den folgenden fünf Jahrzehnten. Auch die Diskussion der Gründer Friedrich Cerha, Kurt Schwertsik und HK (“Nali”) Gruber war sehr lebendig. Hier der Bericht, für alle, die sie versäumten.

 Teils unterstützt durch projizierte historische Fotos (etwa der junge Cerha als Geiger und erster Dirigent der “Reihe”, Schwertsik beim Cage-Klavierkonzert 1959) und Film- und Tondokumente skizzierte Gertraud Cerha die triste und verzopfte Situation der Kultur und der Neuen Musik: “Schüler der Wiener Schule hatten im Nachkriegs:Wien” keine Chance.” Joseph Marx – allmächtig – war auf traditionelle Strukturen bedacht. Die Situation änderte sich als erstes eher im Bereich der bildenden Kunst und im Dunstkreis der Akademie für Bildende Künste. Bereits 1950 gab es eine viel beachtete “Art Club”-Diskussion um die Freiheit der Kunst, koordiniert von Friedrich Heer und Wotruba.

 

Die Wiener Schule führte in der IGNM ein Schattendasein, wer sich dafür interessierte, konnte die kleinen Veranstaltungen – fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit – in der Musikakademie in der Lothringerstraße besuchen (Vgl. dazu auch: “Querfeldein. Lothar Knessl im Gespräch mit Heinz Rögl und Christian Scheib” in dem Buch “Lothar Knessl. In andere Richtungen denken lernen”; Pfau-Verlag 2002, erhältlich im mica!).

 

 

Die wichtigen Leute in der IGNM waren Josef Polnauer und Erwin Ratz, auch Hans-Erich Apostel, und bei den Konzerten in der Musikakademie wirkten damals schon Friedrich und Gertraud Cerha mit (vgl. Knessl-Buch). Der einzige engagierte Lehrer, der das Neue forciert unterstützte, war Karl Schiske. Er ermöglichte die ersten Darmstadt-Stipendien. Der Ordinarius am Musikwissenschaftlichen Institut, Erich Schenk (1947-1971) hingegen lehnte Anton Webern als Dissertationsthema ab. Als Gösta Neuwirth Anfang der sechziger Jahre eine Arbeit zu Franz Schreker begann, lehnte der berühmte Wiener Ordinarius erneut ab (Schenk: “Mit Juden gebe ich mich nicht ab!”). Neuwirth musste 1963 nach Berlin übersiedeln.

 

Immerhin deckte Egon Seefehlner (Generalsekretär im Wiener Konzerthaus von 1946 – 1961) mit den Internationalen Musikfesten den ungeheuren Nachholbedarf an Musik des 20. Jahrhunderts ab, er schrieb 1947 in der ÖMZ: “Die moderne Musik . muss auf jeden Fall das zentrale Problem des musikalischen Lebens unserer Zeit sein. Denn die moderne Musik ist das Leben!” – Er begann zunächst mit Hindemith, Boris Blacher und anderen internationalen Komponisten, doch ab 1949 gab es verstärkte Programmpräsenz österreichischer Komponisten, auch etwa von Ernst Krenek. 1961 wurde das “35. Weltmusikfest” der IGNM in das Internationale Musikfest inkorporiert und jetzt erst konnte man mit größerer Rezeption Schönberg, Webern und Berg hören (dazu gibt es eine Publikation von Erwin Barta: “Das Wiener Konzerthaus 1945-1961”, Tutzing: Schneider 2001).

 

Zurück zum gestrigen Vortrag: Gertraud Cerha berichtete, dass der erste in Darmstadt 1955 Kurt Schwertsik war, 1956 und in den Folgejahren auch die Cerhas, Erich Urbanner, Karl Schiske, Lothar Knessl, dann Ligeti, Otto M. Zykan und etliche andere. Dort waren Luigi Nono, Stockhausen (bei dem Schwertsik dann studierte), Pierre Boulez maßgeblich, aber auch John Cage kam (und “provozierte”). Alle waren auch bestrebt, die ganz strenge serielle Musik Innovationen zuzuführen und die Reihentechnik (beileibe nicht die einzige) zu verändern.

 

 

“. eine kulturelle Großtat .” (Neues Österreich, 24. März 1958)

 

Boulez’ Pariser Gründung der “Domaines Musicales” war der große Ansporn für die jungen österreichischen Komponisten und Darmstadt-Besucher: Es muss in Wien etwas geben, ein Forum. Mit der Gründung der “reihe” 1958 sah man auch eine “Reihe von Aufgaben” auf sich zukommen. Das erste Konzert des Ensembles am 22. März 1958 im Schubert-Saal des Konzerthauses stieß auf geradezu begeisterte Kritik des Rezensenten im Neuen Österreich.

 

Das war niemand anderer als – Lothar Knessl. Wir zitieren: ” Sensationeller Erfolg mit seriellen Träumen. Ein außerordentliches Ereignis, eine kulturelle Großtat – nur so oder ähnlich lässt sich das erste Konzert des aus vorzüglichen Musikern gebildeten Ensembles ,Die Reihe’ beschreiben. Auf dem Programm standen Werke von Anton Webern, Henri Pousseur und Pierre Boulez, lauter Leute, die imstande sind, voreingenommene Leute in die Flucht zu jagen. Dass es auch andere gibt, die auf echte moderne Musik warten, bewies der gesteckt volle Saal (.).

 

Bezüglich der Ausführenden wäre es eigentlich richtig, die Leitung jedes einzelnen zu würdigen. Extralob gebührt der Sopranistin Maria Therese Escribano; sie bewältigte die mit enormen Schwierigkeiten gespickte Solopartie in Boulez’ Werken mit einer ans Unwahrscheinliche grenzenden Selbstverständlichkeit und Intonationssicherheit, konnte daher ihre angenehm klingende, modulationsfähige Stimme jederzeit voll entfalten. Wieso diese Künstlerin nicht öfters zu hören ist, bleibt ein Rätsel. Besonders seien die Initiatoren Friedrich Cerha und Kurt Schwertsik hervorgehoben, die in selbstloser Weise als künstlerische Leiter hauptsächlich zum Gelingen des Abends beitrugen. Für die finanzielle Sicherstellung zeichneten die “Musikalische” Jugend” Österreichs, die Konzerthausgesellschaft und die Internationale Gesellschaft für neue Musik.”

 

 

Das 3. Programm – bereits im Mozart-Saal – war dem “Klavierkonzert” von John Cage gewidmet. Kurt Schwertsik dirigierte mit zum Uhrenzeiger umfunktionierten gestreckten Armen. Neben dem Cage-“Skandalkonzert” (geboten von den im ganzen Raum bis hinauf auf die Galerie verteilten Musikern in zwei “Versionen”) gab es Stücke von Kurt Schwertsik, Sylvano Bussotti, Earle Brown, Cornelius Cardew und Christian Wolff. Knessl schrieb im “Express” (20.11.1959): “Münchhausen-Uhr dirigierte Cage-Konzert. Lachen, Johlen, Pfeifen und Geschrei im Publikum, aber zum Glück keine Toten (.) Das Publikum amüsierte sich zum Teil, teils reagierte es sauer, teils hatte es vorsorglich Lärmgerät mitgebracht. Sonst war es recht anständig, bis auf Frau Badura-Skoda, die im Schutze hoher Herrschaften ihre Manieren vergaß. Und das müsste nicht sein, denn so tierisch ernst sollte man die Sache nicht nehmen. Schließlich ist auch ein Schuss Spielerei dabei, ungewohnt zwar, wer will, mag infantil sagen.”

 

1961, so fuhr Frau Professor Cerha fort, gab es das Weltmusikfest der IGNM, maßgeblich geprägt und programmiert von der “reihe”. Zu hören war Anton Weberns op. 10, weiters “Pierrot lunaire” von Arnold Schönberg mit einer extra erstmals auf Tonhöhen notierte Sprechstimme von Cerha. In Folgejahren folgten immer wieder auch wichtige Retrospektiven, etwa auf Edgard Varèse (heuer Schwerpunkt bei den Salzburger Festspielen), Charles Ives, Satie – Milhaud – Antheil. Viele Musiker wurden durch “die reihe” geprägt. In einem Filmzusammenschnitt konnte man Cerha bei der Leitung des Ensembles vor 40 Jahren und bei der Aussteuerung von Stockhausens “Kurzwelle” zusehen.

 

Mit dem Nachfolger Seefehlners gab es Spannungen und Streitigkeiten, der wollte sich stärker in die Programmierung einmischen und es kam zum Ende des Zyklus im Konzerthaus. Stattdessen wurde das Ensemble von Werner Hofmann in das neue 20-er-Haus (“Museum des 20. Jahrhunderts”) eingeladen, aufzutreten. Von György Ligeti (“Kammerkonzert”, “Aventures”) gab es mehrere Uraufführungen.

 

1978/79 gab es dann – wieder im Konzerthaus – den Zyklus “Wege in unsere Zeit”, Hans Landesmann und “die reihe” organisierten 1983 im Konzerthaus das bahnbrechende und erfolgreiche Webern-Fest zum hundertsten Geburtstag mit dem Gesamtwerk des Komponisten und verwandten Kompositionen. Die “reihe” gestaltete unter Cerha etliche der Konzerte, die Eröffnung (auch unter Cerha) war mit dem Orchestra RAI Torino, es traten auch die Philharmoniker unter Zubin Mehta für Webern und Schönbergs “Pelléas” an, das ORF-Orchester spielte die Rekonstruktion eines Arbeiter-Sinfoniekonzertes von 1925, das Ensemble Intercontemporain war unter Boulez zu Gast und Claudio Abbado gestaltete mit dem London Symphony Orchestra und auch mit Maurizio Pollini als Solist die beiden großen Abschlusskonzerte. Es gab da wirklich endlich ein aufgeschlossenes Publikum in Wien, welches sich für die Wiener Schule interessierte und Vieles zum ersten Mal hörte.

 

1983 wird “Nali” Gruber, längst schon maßgeblich mit von der Partie, auch der künstlerische Leiter des Ensembles, nachdem Cerha die Leitung abgeben wollte. 1984 noch dirigiert auch der weiter mitprogrammierende Kurt Schwertsik Konzerte (etwa auch mit Peter Weibel als “Solist”). Die Zeiten ändern sich, das neu von Beat Furrer und ebenfalls Komponisten neu konstituierte Klangforum Wien kriegte 1989 einen Konzerthaus-Zyklus. Auch andere Ensembles für Neue Musik (als Haupttätigkeit der Mitwirkenden) konstituieren sich.